Gedenkrede der 10c an die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, die Reichspogromnacht.

Gedenkrede der 10c an die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, die Reichspogromnacht.

Über 1000 zerstörte Synagogen, unzählige Tote, unzählige Menschen, die Erniedrigung erfahren und Angst spüren mussten, eine Welle an Hass, losgestoßen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, der Reichspogromnacht.

Auch Isidor Salomon, Max Salomon und Johanna Friedländer waren Menschen, die aufgrund ihres Glaubens so viel Leid ertragen mussten und unter dem nationalsozialistischen Regime auf schreckliche Weise ermordet wurden.

Liebe Anwesenden, wir wollen nicht vergessen, sondern an sie erinnern, sie ehren. Für dies sind wir heute an diesem besonderen Tag zusammengekommen, um ein Zeichen gegen Hass und Antisemitismus zu setzen und aus der Geschichte zu lernen und es besser zu machen.

„Das Ende des Lebens, für viele Juden“, so wird die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 heute vielerorts beschrieben.

Die Unsicherheit in unserer damaligen Gesellschaft, religiöser Hass und Neid auf den beruflichen Erfolg vieler Juden wurde von den Nationalsozialisten 1938 ausgenutzt, um mittels Propaganda Gerüchte über Juden zu verbreiten.

Am 9. November um 22:00 Uhr hielt Joseph Goebbels eine Hetzrede und formulierte den Aufruf für die Pogrome. Anhänger der Nationalsozialisten zogen los und brannten über 1400 Synagogen nieder. Sie verwüsteten Wohnungen von Juden und zerstörten jüdische Geschäfte. Die Reichspogromnacht kostete über 13000 jüdischen Bürgern das Leben. Hinterhältig, nein sogar grausam war, dass die Schutzstaffel und die Sturmabteilung am 9. November in Zivilkleidung auftraten, um unerkannt zu bleiben und die Gesellschaft zu täuschen.

In Hamburg, unserem Heimatsort, wurden in der Nacht auf den 10. November 879 Juden inhaftiert. In Hamburg, unserem Heimatsort, versammelten sich die Männer der Sturmabteilung in den frühen Morgenstunden des 10. Novembers, um in verschiedene Richtungen loszuziehen. Sie begannen erst am Morgen mit ihren brutalen und gefühllosen Taten, da es Probleme bei der Alarmierung der Schutzstaffel gab. Sie brannten die Dammtorsynagoge, die Hauptsynagoge am Bornplatz und die Grindelhofsynagoge nieder. „Ich sah die Flammen aus der Grindelhofsynagoge schlagen, davor brannte ein Haufen jüdischer Gebetbücher und Thorarollen. (…) Ich hatte den Eindruck, die Männer waren davon überzeugt, etwas besonders Gutes zu tun“, berichtete ein Zeitzeuge.

Schaulustige verhinderten die Löscharbeiten, als eine Leichenhalle auf dem jüdischen Friedhof in Harburg niederbrannte. Durch die Rücksichtslosigkeit der gesamten Gesellschaft brannte die Leichenhalle, wie viele andere jüdische Gebäude, in dieser Nacht komplett nieder.

Die Auswirkungen dieser Nacht waren extrem. Die Folgen waren Zerstörung, Obdachlosigkeit, Vergewaltigung, Vertreibung, Entrechtung. Jüdinnen und Juden wurden enteignet, zur Zwangsarbeit getrieben und verfolgt. Der Hass und die Gewalt stiegen immer stärker an. Die Reichspogromnacht war der Beginn der systematischen Ermordung von Jüdinnen und Juden.

Die Familie Salomon führte ein bürgerliches Leben. Isidor Salomon, ein Geschäftsmann, der im Lederhandel tätig war, hatte sich durch harte Arbeit und Einsatz eine Existenz aufgebaut. Er lebte mit seiner Frau Margarethe Salomon und ihren drei Kindern Max, Fritz und Edith in Blankenese. Ein Leben in Wohlstand, das bereits vor der Reichspogromnacht von vielen familiären Schicksalsschlägen geprägt war.

Auch Johanna Friedländer lebte zu dieser Zeit in Blankenese, hier im Süldorfer Kirchenweg 34, und auch sie und ihr Ehemann Max hatten sich mit ihrem Zigarrenhandel ein wohlhabendes Leben aufgebaut. Nach dem Tod ihres Mannes baute sie sich ein neues Leben auf.

Mit dem Aufstieg des nationalsozialistischen Regimes wurden sie, wie alle jüdischen Bürgerinnen und Bürger, zu Zielscheiben eines menschenverachtenden Systems. Ihr Besitz wurde ihnen genommen, ihre Konten eingefroren, ihre Geschäfte von Nazis an sich gerissen.

Isidor Salomon wurde zunächst nach Theresienstadt und dann nach Treblinka deportiert und ermordet. Max Salomon wurde nach Auschwitz deportiert und ermordet. Johanna Friedländer wurde nach Auschwitz deportiert und ermordet. Drei Menschenleben, die brutal ausgelöscht wurden.

Die Geschichte der Familie Salomon sowie die Geschichte von Johanna Friedländer stehen exemplarisch für das Leid und das Unrecht, das jüdische Bürgerinnen und Bürger in dieser Zeit erfahren mussten. In ihren Geschichten erkennen wir den Verlust von Menschenrechten und die Zerstörung von Existenzen.

Wir alle sind in der Pflicht, uns gegen Antisemitismus zu stellen. Die Reichspogromnacht konnte geschehen, weil viele daneben standen und zuschauten. Sie haben aktiv erlaubt, dass hunderte Juden ermordet wurden.

Wir alle tragen die Verantwortung dafür zu sorgen, dass so etwas nie wieder passiert und Juden und Jüdinnen sicher in Deutschland leben können, ohne Angst haben zu müssen, Opfer von Hassverbrechen zu werden und ihre Religion in Frieden ausüben können. Jeder Mensch ist gleich viel wert.

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Antisemitismus ist Gift für unsere Demokratie. Wir müssen nicht nur Juden und Jüdinnen schützen, sondern auch unsere Demokratie.

Auch heute sollten wir uns fragen: Was tun wir, um Erinnerungen in den folgenden Generationen zu schaffen? Denn wir sind kurz davor, in einer Gesellschaft ohne direkte Zeitzeugen der Shoa zu leben. Deshalb ist es unser aller Aufgabe und Verpflichtung, in den jetzigen und vor allem in den zukünftigen Generationen ausreichend Wachsamkeit, Bewusstsein und Verantwortung zu vermitteln, um einer Gesellschaft vorzubeugen, in der Antisemitismus, Hetze und Hass wieder Platz einnehmen.

Denn Opfer der Shoa und ihre Familien haben nicht nur heute, sondern auch in Zukunft unseren größten Respekt und unser Andenken an ein Attentat an eine gesamte Bevölkerungsgruppe verdient. Dafür ist die Verbreitung und Aufbereitung der Geschichten, Erzählungen und Andenken an vergangene Opfer ausschlaggebend.

Die Reichspogromnacht ist ein Paradebeispiel dafür, was geschieht, wenn Hass und Intoleranz normalisiert werden. Es liegt an uns, dass so etwas nie wieder passiert. Max Mannheimer sagte: „Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon.“ In unseren Händen liegt die Zukunft. Wir müssen verhindern, dass Gewalt und Intoleranz gegenüber Minderheiten in Deutschland wieder geschehen.

Wir stehen hier an den Stolpersteinen in Blankenese. Vor einem Monat wurden zehn dieser Stolpersteine im sächsischen Zeitz über Nacht aus den Böden gerissen und entwendet – zehn Denkmäler, die an grausame, hasserfüllte Zeiten, unter anderem den 9. November 1938, und die Leidtragenden, die in diesen Zeiten ermordet wurden, erinnern sollen. Dieses Ereignis ist nur eines von vielen, das den heutigen Antisemitismus belegt. Seit 2022 hat sich die Anzahl der Gewaltdelikte mit antisemitischen Hintergründen verdoppelt. Durch Attentate zeigt sich, dass sich in unserer Gesellschaft, hier und heute, noch immer Hass gegenüber unschuldigen Menschen verbirgt.

Immer mehr Menschen unterstützen rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien und Politiker*innen. Immer mehr Menschen dulden Antisemitismus, Diskriminierung, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Gewalt und die Abschaffung eines demokratischen inklusiven Zusammenlebens. Immer mehr Menschen unterstützen das, was am 9. November vor 86 Jahren passierte. Margot Friedländer warnt: „So hat es damals auch angefangen.“ Lasst uns diesen Ort als Mahnung verstehen.